Mein Semester in Illinois in Wort und Bild

Dienstag, 8. November 2011

Sie ist immer da wo was los ist, immer mitten in der Stadt

Die Großstadt hat mich wieder – wenigstens für eine kurze Weile. Ende Oktober besuchten mich mein Vater und Bruder. Die beiden haben eine Rundreise mit dem Auto durch Amerikas Herzen gemacht, was nicht immer spannend ist. Auf jeden Fall wissen sie jetzt, wie Mais- und Sojabohnenfelder aussehen. Die Tour führte sie nach Detroit, Toronto, die Niagarafälle, Buffalo, Cleveland, Indianpolis, St. Louis und dann zum Nabel der Welt: Charleston.

Downtown Charleston. Ja, es ist immer so leer.
 

Das Wetter hat leider nicht mitgespielt, so dass unsere Ausflugsmöglichkeiten stark eingeschränkt waren. Die Campustour haben wir auf knapp zwei Stunden gedehnt, dann gab es noch einen Abstecher nach Downtown Charleston, und schon war mein Beschäftigungsprogramm erschöpft. Nach dem vielen Herumfahren und Städte gucken war das aber möglicherweise eine angenehme Ruhepause für die beiden. Immerhin haben wir noch ein kostenloses Konzert des unieigenen Blasorchesters erlebt, mit der Aufführung des fantastischen Stückes Voodoo von Daniel Bukvich, das ich vor sechs Jahren selbst gespielt habe.

Nach der zweitägigen Erholung im ländlichen Charleston wurde das Auto erneut bepackt, dieses Mal mit einer Person mehr. Zu dritt haben wir uns auf den beinahe vierstündigen Weg nach Chicago gemacht. Meine Freude darüber, endlich wieder Großstadtluft zu schnuppern, war enorm. Wie zu erwarten, hat mich Chicago nicht enttäuscht. Immerhin wusste ich durch vorherige Besuche schon relativ genau, was mich erwartet. Die Stadt kann zwar nicht ganz mit Madrid mithalten (das ist auch per Definition nicht möglich, immerhin kommt man von Spaniens Hauptstadt direkt in den Himmel), aber sie ist nah dran. Architektonisch sind beide Städte natürlich nicht zu vergleichen, aber die Vorliebe für gutes Essen und ein spannendes Nachtleben teilen sie. An dem Wochenende haben wir vor allem kulinarisch wie die Götter in Frankreich gelebt. Der Höhepunkt war schon Freitags mit einem Besuch von Fogo de Chao gegeben, einer brasilianischen Churrascaria. Das Dessert, Creme de Papaya com Cassis, war göttlich. Doch genug vom Essen und mehr zur Stadt.

Während einer Bustour am Freitagnachmittag haben uns wir trotz der einsetzenden Kälte einen guten Überblick über die Stadt geschaffen. So haben wir nicht nur die erlaufbaren Ziele in direkter Umgebung des Hotels erkundet, sondern auch das Footballstadion und den Museumspark zu Gesicht bekommen. Das wäre selbst für uns geübte Stadtreisende ein ermüdender Marsch gewesen. So nahm unser Sightseeingplan für Samstag eine konkretere Gestalt an.

Das John Hancock Observatory

 Begonnen haben wir unsere Erkundung mit einem schwindelerregenden Ausblick aus dem John Hancock Observatory in 329 Meter Höhe. Das Wetter war gut, allerdings nicht klar genug um über den Lake Michigan bis nach Indiana sehen zu können. Beeindruckend war es jedoch allemal. Danach stand ein Bummel entlang der Magnificent Mile an, wo wahrscheinlich jeder einen Laden findet, der ihm zusagt – außer uns. Voller Verzweiflung haben wir nach einem Musikgeschäft Ausschau gehalten, entweder mit Instrumenten oder mit CDs. iTunes hat jedoch anscheinend alle größeren Plattenläden zerstört, ähnlich wie Amazon zu einer Konsolidierung der Buchhandlungen geführt hat. Der Virgin Mega Store, der noch vor fünf Jahren einen großen Ableger an ebenjener Straße hatte, ist verschwunden. Also haben wir unsere Ausgaben notgedrungen gering gehalten und uns zum Navy Pier aufgemacht. Da wir unsere Dreitageskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel ausreizen wollten, haben wir das Bussystem ausprobiert, welches tadellos funktioniert.

Großstadt von oben - mit See zur Linken.
 
Am Navy Pier hat sich dann Chicagos Spitzname bemerkbar gemacht. Hier war es durchaus windig. Wir wurden jedoch mit dem Blick auf die Skyline vor herrlich blauem Himmel belohnt. Die Kirmesatmosphäre haben wir dann allerdings bald gegen den Großstadtdschungel im Loop eingetauscht. Das ist einer der zentralen Distrikte Chicagos. Wer sich hier wie in einem Batmanfilm fühlt, liegt gar nicht verkehrt: Pate für Gotham City stand nicht vorrangig New York, sondern vor allem Chicago. Einige Szenen der neuen Christopher BurtonNolan-Filme wurden tatsächlich im Loop gedreht. Und natürlich die Blues Brothers, die quer durch die Stadt gejagt werden. „Loop“ heißt dieser Stadtteil, weil die Straßenbahn (liebevoll „L“ genannt) auf Stelzen im Kreis fährt, während darunter die Autos entlangrauschen und Fußgänger schlendern. Im Finanzdistrikt haben wir Bekanntschaft mit „Occupy Chicago“ gemacht, dem lokalen Ableger der „Occupy Wall Street“-Bewegung. (Mittlerweile gibt es sogar „Occupy EIU“, bestehend aus drei Zelten vor dem Fine Arts Center. Wirkliche Entbehrungen müssen sie nicht ertragen. Mir wurde berichtet, dass ein Starkstromkabel in das größte Zelt hineinragt.)

Die Buntglaskuppel im Cultural Center. Früher hatte die Stadt zu viele Leute mit zu viel Geld, die ihr so Spirenzchen stiften konnten. Organisiertes Verbrechen inbegriffen.
 
In der Nähe des Loops befindet sich der grandiose Millenium Park, der dank des guten Wetters stark frequentiert war. Bevor wir uns dort der modernen Kunst in Form der „Bean“ hingegeben haben, war ein Zwischenstopp im Cultural Center angesagt. Hier gibt es eine riesige Buntglaskuppel, die äußerst beeindruckend ist. Über Schönheit lässt sich bekanntlich streiten, aber imposant und handwerklich überragend ist sie auf jeden Fall.

"Cloudscape", von allen liebevoll die "Bean" genannt - moderne Kunst in ihrer besten Form.
 
Nach einem langen Sightseeingtag und einem ausgiebigen Abendessen hatten wir uns gute Musik verdient und stürzten uns ins Nachtleben. Chicago ist ja inoffizielle Hauptstadt des Blues, da ist ein Abstecher in eine Bluesbar Pflichtprogramm. Auch wenn die Lokalität, die wir schließlich aufsuchten (Blue Chicago) sehr touristisch war, hatten wir doch unseren Spaß und waren alle drei erfreut, mal wieder gute handgemachte Musik zu hören.

Der letzte Tag war dem Wahren, Schönen, Guten in Form des Chicago Art Institutes gewidmet. Auch während meines dritten Besuches habe ich wieder Neues entdeckt. Die modernere amerikanische Kunst ist mit Edward Hoppers „Nighthawks“ und Grant Woods „American Gothic“ bestens vertreten. Aber auch die anderen Abteilungen müssen sich nicht verstecken. Ein Buntglasfenster von Chagall lässt sich bewundern, die Sammlung an Impressionisten sucht weltweit ihresgleichen, und auch die ältere europäische Kunst ist mit einigen wunderbaren El Grecos nicht von schlechten Eltern. Nach einigen Stunden war unsere Aufnahmefähigkeit jedoch erreicht, auch wenn wir bei weitem nicht alles gesehen hatten. Dann muss eben noch ein Besuch sein.

Eines meiner Lieblingsgebäude - wenn man hochschaut, während man an ihm entlangläuft, scheinen sich Wellen auf der Fassade auszubreiten.


Während Thomas und mein Vater noch einige Stunden Zeit hatten, um einen Gitarrenladen ausfindig zu machen, habe ich die Rückreise angetreten, dieses Mal im Zug. Da das System hier äußerst seltsam ist, wundert es mich nicht, dass niemand mit dem Zug reist. Wie beim Flugzeug muss man sich anstellen, um dann an der Ticketkontrolle durchgewunken zu werden. Immerhin wird das Gepäck nicht durchleuchtet. Meine Familie musste ich schon vorher zurück lassen, man darf niemanden mit aufs Gleis nehmen. Der Einstieg ist auch streng geregelt, sortiert wird nach Aussteigebahnhof. Das macht tatsächlich Sinn, da der Zug recht lang und einige der Bahnsteige äußerst kurz sind. Der Zugführer hält dann so, dass wenigstens die entsprechenden Waggons am Bahnsteig stehen bleiben und die Passagiere nicht im Niemandsland aussteigen müssen. Ein positiver Gegensatz zur Deutschen Bahn war die ausgesprochene Freundlichkeit des Personals. Da wir ja sowieso alle schon vorsortiert waren, wurde ich sogar persönlich darauf hingewiesen, dass bald meine Endstation Mattoon kommt. Beim Aussteigen ist der Schaffner beim Herunterhieven größere Gepäckstücke behilflich. Außerdem sind die Sitze bequem und man kann hervorragend schlafen. Da lässt es sich sogar ertragen, dass der Zug im Gegensatz zu deutschen ICs oder gar ICEs nur nervtötend langsame Geschwindigkeiten erreicht. Aber ich bin heil angekommen, das ist die Hauptsache.

Thomas, ich und mein Vater vor der Windy Skyline. Vielen Dank für euren Besuch und die Fotos!
 
In zwei Wochen steht dann die nächste Reise auf dem Plan, bei der ich so ziemlich alle Verkehrsmittel in den USA nutzen werde: Auto, Flugzeug, Langstreckenbus, Zug und vermutlich Nahverkehrsmittel in zwei fantastischen Großstädten, Washington, D.C. und Chicago. Sollte sonst nichts Spannendes passieren, kann ich zumindest eine Kosten-Komfort-Schnelligkeits-Abwägung durchführen. Wer weiß, das könnte mir ungeahnte Möglichkeiten in der Verkehrsbranche eröffnen.

2 Kommentare:

Anonymous Dr Dee meinte...

Ich will ja nicht kleinlich sein, aber du hast da was durcheinander geworfen. Du hast Tim Burton und Christopher Nolan (welchen du meintest) gekreuzt, um den tatsächlich existierenden Christopher Burton zu kreieren, der immerhin eine sehr amüsante Mini Bio auf IMDb vorweisen kann.
Tim Burtons Vorbild für Gotham City war übrigens New York *klugscheiß*.

20. November 2011 um 07:46

 
Blogger Christine meinte...

Danke für den Hinweis, hab's korrigiert. Liegt wohl daran, dass ich Chicago einfach viel zu toll finde, als dass ich New York zugestehen würde, als Vorbild zu stehen.

30. November 2011 um 09:42

 

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